Claire Waldoff

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Claire Waldoff

Claire Waldoff (* 21. Oktober 1884 in Gelsenkirchen; † 22. Januar 1957 in Bad Reichenhall), geboren als Clara Wortmann, war eine deutsche Interpretin der Kleinkunst in verschiedenen Genres. Sie selbst verstand sich als Volkssängerin.[1] Ihr Repertoire war breit gefächert.

Grabstein auf dem Stuttgarter Pragfriedhof

Besonders erfolgreich wurde sie mit Darbietungen von Chansons, gesungen im Berliner Dialekt. Ihre wohl berühmtesten Lieder sind Wer schmeißt denn da mit Lehm, Nach meene Beene is ja janz Berlin verrückt und Hermann heeßta.[2] Sie trat in Revuen und Operetten auf, sang ebenso Soldatenlieder wie auch Volksweisen. Claire Waldoff bot Lieder von etwa 15 Komponisten und 25 Liedtextern dar, am häufigsten von Walter Kollo und Willi Kollo, Rudolf Nelson, Claus Clauberg,[3] Eduard Künneke, Hans May, Harry Senger und Kurt Tucholsky.

Claire Waldoff als Märchenwesen Rautendelein in Die versunkene Glocke von Gerhart Hauptmann, 1905

Clara Wortmann wurde als elftes von 16 Kindern einer Gastwirtsfamilie von Clementine (geborene Hiltropp) und Wilhelm Wortmann geboren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm sie an den ersten gymnasialen Kursen für Mädchen in Hannover teil, genauere Daten sind nicht belegbar. Mehrere Quellen berichten, darunter sie selbst in ihrer Autobiografie von 1953, dass sie während dieser Zeit in der Drostestraße bei Maria und Theodor Schmitz, den späteren Eltern Theo Lingens wohnte.[4] Da sich ihr Wunsch, Ärztin zu werden, aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen ließ, entschloss sie sich, das Schauspielfach einzuschlagen, und nahm den Künstlernamen Claire Waldoff an.

Im Jahr 1903 hatte Claire Waldoff ihre ersten schauspielerischen Engagements im niedersächsischen Bad Pyrmont und Kattowitz in Oberschlesien. 1906 kam sie nach Berlin zu kleineren Auftritten. Es gab 1915 auch ein Leinwanddebüt beim Stummfilm. Karriere machte sie aber als kabarettistische Chanson- und Liedsängerin. Ihre künstlerische Hochzeit hielt bis 1936 an und endete nach 1942 gänzlich.

1917 lernte Claire Waldoff in Berlin Olga von Roeder (1886–1963) kennen, die aus einer US-amerikanischen Schauspielerfamilie stammte und Nachkommin des Texas-Siedlers Albrecht von Roeder war. Die beiden waren nicht nur ein Mittelpunkt des lesbischen Nachtlebens im Berlin der 1920er Jahre, sondern sie führten auch einen kulturell-politischen Salon zum Gedankenaustausch unter Lesben. Bis zu ihrem Tod waren beide einander Lebensgefährtinnen. „Wir hatten beide das große Los aneinander gezogen“, schrieb Waldoff in ihren Memoiren, „Olly ist überhaupt ein seltener, lauterer Charakter, ein wunderbarer Mensch“.

Sehr enge Freundschaft hielt Claire Waldoff zu den Künstlern Kurt Tucholsky, der u. a. ihr einige Liedtexte unter dem Pseudonym Theobald Tiger schrieb, und Heinrich Zille. Die Sicht des Malers auf Claire Waldoff besang diese in der Textzeile eines Liedes zu Zilles Gedenken: „Wie Du selbst es tatest schildern, [ich] bin ein Bild aus Deinen Bildern“.

Von 1939 bis zu ihrem Tod lebte sie mit Olga von Roeder zurückgezogen in Bayerisch Gmain.

Die Währungsreform 1948 kostete sie ihre Ersparnisse, sie verarmte. Im Juli 1951 gewährte ihr der Senat von Berlin einen Ehrensold von monatlich 150 D-Mark.[5] 1953 erschien ihre Autobiografie. Am 22. Januar 1957 starb sie, 72 Jahre alt, nach einem Schlaganfall. Ihre Urne wurde im Roederschen Familiengrab auf dem Pragfriedhof Stuttgart beigesetzt wie nach Olgas Tod 1963 auch deren Urne. Als das Familiengrab zwanzig Jahre später aufgelöst wurde, wurden beide Grabgefäße auf Veranlassung der Stadt Stuttgart in eine gemeinsame Nische der rechten hinteren Außenmauer des Kolumbarium umgesetzt.[6]

Plakat für das Linden-Cabaret von Josef Steiner (1914)
Claire Waldoff vermutlich 1918[7] in Drei alte Schachteln

Claire Waldoff erhielt zunächst kleinere Komödienrollen im Figaro-Theater am Kurfürstendamm in 5 Stücken von Paul Scheerbart. 1907 wechselte sie zum Kabarett. Rudolf Nelson engagierte sie für das Theater Roland von Berlin an der Potsdamer Straße. Ihren ersten Auftritt hatte sie in einem Etonboy-Anzug. Er machte sie über Nacht zum Stern von Berlin. Kurz vor dem Auftritt schrieb ihr der Komponist Walter Kollo ein Lied über einen liebestollen Erpel und sein Schmackeduzchen. Es war der Ersatz für ein von der Zensur verbotenes Programm mit antimilitaristischen Liedern. Bald gastierte sie auch im Chat Noir an der Friedrichstraße und am Linden-Cabaret Unter den Linden. Während des Ersten Weltkrieges spielte sie im Theater am Nollendorfplatz in Walter Kollos Kriegsoperette Immer feste druff (Textdichter Hermann Freund, Herman Haller, Willy Wolff, 1914) und war später (1916) im Apollo-Theater in Königsberg (Preußen) engagiert. Ab 1924 erhielt sie Engagements in Ausstattungsrevuen unter anderen bei Erik Charell.[8]

Claire Waldoff spezialisierte sich auf Gassenhauer, Schlager und Chansons im Berliner Jargon, den sie auf Kneipentouren gelernt hatte. Ihr Markenzeichen waren Krawatte, Hemdbluse und bronzeroter Bubikopf. Sie rauchte und fluchte auf der Bühne. Sie selbst beschrieb ihre Ausstrahlung später so: „Meine einfache Art, ohne Geste, nur auf Mimik, nur auf das Mienenspiel der Augen gestellt, war etwas Neues auf der Kabarettbühne. Ich war und blieb die große Nummer in meiner Einfachheit.“

Den Höhepunkt ihrer Karriere erreichte sie Mitte der 1920er Jahre. Sie trat in den zwei größten Varietés Berlins, der Scala und dem Wintergarten, auf und unternahm Tourneen durch Deutschland. Sie wurde für Operetten und Ausstattungsrevuen engagiert und stand mit der noch unbekannten Marlene Dietrich auf der Bühne. Der Rundfunk spielte ihre Lieder. Ihre Schallplattenverkäufe erreichten Rekordhöhen. Ihr Repertoire umfasste zu dieser Zeit rund 300 Stücke.[9]

Mit ihrer Lebensgefährtin Olga von Roeder war sie zugleich Mittelpunkt des lesbischen Berlin. Regelmäßig besuchte sie den Damenklub Pyramide, der sich im Toppkeller in Berlin-Schöneberg traf. Dort verkehrten unter anderem die Tänzerinnen Anita Berber und Celly de Rheydt, elegante Frauen, Malerinnen und Modelle.

Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 bedeutete auch für Claire Waldoff einen Einschnitt. Für einige Zeit hatte sie ein politisches Auftrittsverbot, weil sie noch kurz zuvor bei der kommunistischen Roten Hilfe im Berliner Sportpalast aufgetreten war.[10] Nachdem sie der Reichskulturkammer beigetreten war, wurde es wieder aufgehoben. Mitte der 1930er Jahre trat sie in Berlin in einem Doppelprogramm mit Lene Ludwig auf, die parodistische Tänze mit Masken von Prominenten aufführte.

1936 knickte ihre Karriere ein. Propagandaminister Joseph Goebbels verbot ihr, in der Berliner Scala zu gastieren. In Berlin gab es für sie immer weniger Engagements. Ab 1939 trat sie noch in Rundfunk-Wunschkonzerten auf.[11] Dabei erfreute sie sich jedoch keiner großen Popularität. Am 30. Januar 1941 hielt ein Stimmungsbericht des Sicherheitsdienstes der SS fest: „Das 58. Wehrmachtswunschkonzert hat allgemein sehr angesprochen. [...] Viele Volksgenossen wendeten sich jedoch gegen das Auftreten von Claire Waldoff. Abgesehen davon, daß ihre Chansons inhaltlich sehr dürftig gewesen seien und keineswegs den Humor darstellten, den man sich wünsche, falle Claire Waldoff durch die ‚gewöhnliche‘ Art ihrer Darbietung aus dem insgesamt würdigen Rahmen eines Wehrmachtswunschkonzertes heraus [...].“[12]

1946 hatte sie ein Engagement im „Bunten Würfel“ in München.[13] Nach eigenen Angaben trat sie außerdem noch ein paar Mal in München, in Hamburg „und 1950 vor 33000 Berlinern in der Waldbühne“ auf.[14]

Eigene Veröffentlichungen zu Lebzeiten

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Lieder und Chansons (Auswahl)

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M = Melodie T = Text

Interpretin / Textautorin

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  • 1910: Det Scheenste sind die Beenekins (Musik: Walter Kollo).
  • 1913: Wer schmeißt denn da mit Lehm.
  • 1913: Heinrich heeßt er (nach der Melodie „Hermann heeßt er“ von Ludwig Mendelssohn).
  • 1915: Da kann kein Kaiser und kein König was machen (Musik nach dem Motiv eines alten Soldatenliedes)
  • 1930: Vier Stationen (Musik: Erich Einegg).

Interpretin / Verfasserin der Melodie

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  • undatiert: Alles kommt im Leben einmal wieder (Text: Alfons Hayduck).
  • 1930: Das moderne Mädel (Text: Erich Kersten).
  • 1931: Die Chance der Rennbahn (Text: Kurt Steinfeld).

Interpretin (Auswahl)

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  • 1911: Nach meine Beene is ja janz Berlin verrückt (Text: Hermann Frey, Musik: Walter Kollo).
  • 1913: Hermann heeßt er (Musik und Text: Ludwig Mendelssohn).
  • 1914: Auf der Banke, an der Panke (aus der Operette „Immer feste druff“, mit Karl Gessner, Musik: Walter Kollo, Text: Rideamus).
  • 1923: Dornröschen aus’m Wedding (Musik: Friedrich Hollaender, Text: Hermann Vallentin).
  • 1924: Ausgerechnet Bananen! (Musik und Text: Frank Silver und Irving Cohn, deutscher Text: Fritz Löhner-Beda).
  • 1926: An der Panke – an der Wuhle – an der Spree (Musik: Hans Mey, Text: Hans Brennert).
  • 1928: Wat braucht der Berliner um glücklich zu sein? (Musik: Fritz Paul, Text: Werner Hassenstein).
  • 1928: Ich rolle Punkt (Musik: Sigismund Witt, Text: Heide Sachs).
  • 1929: Wegen Emil seine unanständige Lust (Musik: Paul Strasser, Text: Julian Arendt).
  • 1929: Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren (traditionelles Volks- und Soldatenlied)
  • 1930: Das Lied vom Vata Zille (Musik: Willi Kollo, Text: Willi Kollo und Hans Pflanzer)
  • Weeste noch …! Aus meinen Erinnerungen. Progress-Verlag, Düsseldorf/München 1953.
Neuausgabe, Herausgeber: Volker Kühn: „Weeste noch …?“ Erinnerungen und Dokumente. Parthas, Berlin 1997, ISBN 3-932529-11-1.
Neuausgabe: Weeste noch …! Aus meinen Erinnerungen. L.S.D. im Steidl Verlag, Göttingen 2013, ISBN 978-3-86930-613-1.

Werke über und zu Claire Waldoff

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Tonträger, mit Originalaufnahmen von Claire Waldoff, die post mortem publiziert und aufbereitet wurden:

Sigrid Grajek als Claire Waldoff (2015)

Interpretationen ihrer Lieder

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Postume Würdigungen

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Straßen und Wege

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„Singe, wem Gesang gegeben. Du aber, Clärchen, singe auch ohne ihn! hat der liebe Gott sicher zu ihr gesagt. Die unvergleichlich komische kleine Kruke knautscht die Worte, gröhlt aus Reibeisenkehle die Melodie […]. Eigentlich möchte man ihr stundenlang in die Fresse hauen! So frech und vergnügt grienend steht sie da. Rot leuchtet der Kopf. Rund alle Rundungen. Das Auge zwinkert wissend, jedes Wort kräht krakelend. Urkomisch, hinreißend – ein Original.“

Pem[21]

In der dritten Staffel (erste Folge) von Babylon Berlin legen Charlotte „Lotte“ Ritter und ihre Schwester eine Schallplatte mit dem Lied Raus mit den Männern aus dem Reichstag von Waldoff auf und singen dazu.[22]

Commons: Claire Waldoff – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Carolin Stahrenberg: Claire Waldoff. In: MUGI. Musik und Gender im Internet. 27. März 2006, abgerufen am 5. April 2023.
  2. Peter Panter (Kurt Tucholsky): Cabaret. In: Die Schaubühne, Nr. 43, 23. Oktober 1913, S. 1044.
  3. kulturportal-mv.de (Memento vom 24. Juni 2013 im Internet Archive)
  4. Susanne Herzog: Claire Waldoff. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
  5. Maegie Koreen: Immer feste druff. Seite 272 books.google
  6. Maegie Koreen: Immer feste druff. Seite 293 f. books.google; Foto des Grabes unter Weblinks.
  7. Peter Panter (Kurt Tucholsky): Drei alte Schachteln. In: Die Weltbühne, Nr. 20, 16. Mai 1918, S. 457; Theaterkritik
  8. Stiftung Deutsches Historisches Museum: Gerade auf LeMO gesehen: LeMO Biografie. Abgerufen am 10. April 2023.
  9. The Life and Legacy of Claire Waldoff: Biography- Life, Career & Success - Celebritygraphy.com. 10. April 2023, abgerufen am 10. April 2023 (amerikanisches Englisch).
  10. The Life and Legacy of Claire Waldoff: Biography- Life, Career & Success - Celebritygraphy.com. 10. April 2023, abgerufen am 10. April 2023 (amerikanisches Englisch).
  11. Stiftung Deutsches Historisches Museum: Gerade auf LeMO gesehen: LeMO Biografie. Abgerufen am 10. April 2023.
  12. Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich 1938–1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS. Band 6. Pawlak, Herrsching 1984, S. 1955 f.
  13. www.abendzeitung-muenchen.de
  14. ungenau datierter (1955) Artikel aus der WAZ: „Zu Besuch bei Claire Waldoff“, www.chanson-cafe.de
  15. Mieze Strempels Werdegang. Internet Movie Database, abgerufen am 8. Juni 2015 (englisch).
  16. Der Jüngling aus der Konfektion. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 5. Juli 2021.
  17. revolverschnauze.de (Memento des Originals vom 14. Oktober 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.revolverschnauze.de
  18. Edelgard Richter: Theater am Kurfürstendamm: Zille und sein „Milljöh“. In: Menschen und Medien, 25. Februar 2009; Aufführungskritik
  19. Sigrid Grajek im Interview mit Andreas Hergeth: Schauspielerin und „Butch“ Sigrid Grajek: „Ich bin nun mal kein Gretchen“. Mit 18 Jahren fühlte sich Sigrid Grajek „gescheitert“. Für ihr Lesbisch-Sein kannte sie „nicht mal das Wort“. Heute ist sie erfolgreiche Kabarettistin – und überzeugte Butch. www.taz.de, 26. Mai 2018, abgerufen am 27. Mai 2018.
  20. Claire Berolina. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 5. Juli 2021.
  21. Paul Marcus [d.i. Pem]: Die vom Brettl. In: Der Junggeselle, Nr. 23, 2. Juniheft 1926, S. 6.
  22. Soundtrack zu Babylon Berlin auf Discogs