Bayreuther Kreis (Personengruppe)

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Der Bayreuther Kreis[1] war eine Personengruppe um Cosima Wagner (1837–1930), der Witwe des deutschen Komponisten Richard Wagner (1813–1883), und Hans von Wolzogen (1848–1938), dem Herausgeber der von Richard Wagner begründeten Bayreuther Blätter. Er „entwickelte sich unter ihrem Einfluß zu einer deutschnationalen und antisemitischen Strömung innerhalb der Kulturreformbewegung.“[2]

Einführung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Schlüsselfigur innerhalb des Bayreuther Kreises – eines der wichtigsten „völkischenMilieus im Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg – war Cosima Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain (1855–1927). Der Ehemann ihrer und Richard Wagners Tochter Eva, ursprünglich Engländer und Biologe, war ein völkischer Ideologe (vgl. dessen Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts), der ein sehr einflussreicher offizieller Propagandist des Wagner-Kultes wurde. Mit seiner Wagner-Biographie (Richard Wagner. F. Bruckmann, zuerst 1895) lieferte er einen Schlüsseltext in der kontroversen und heftig umstrittenen Interpretation von Wagner als antisemitischen Proto-Nazi, was zu dessen späteren Annahme durch die NS-Bewegung führte. Chamberlain gilt als „einer der bösartigsten Vertreter einer rassistischen Sicht auf die Geschichte und von Deutschlands Mission als einer Herrenrasse“.[3]

Der französische Diplomat und Schriftsteller Arthur de Gobineau (1816–1882) hat insbesondere mit seinem L’essai sur l’inégalité des races humaines (Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen) den Bayreuther Kreis beeinflusst, ein Werk, das von Karl Ludwig Schemann (1852–1938) ins Deutsche übersetzt wurde. Gobineaus Grundgedanken ergänzte Chamberlain um einen verstärkten Antisemitismus und präsentierte dabei „den Juden“ als negatives Gegenbild zum verklärten Deutschtum, allerdings ohne den bei Nietzsche auftretenden Begriff „Übermensch“ oder den nationalsozialistischen Gegenbegriff „Untermensch“ zu verwenden, und ohne selbst zur Vernichtung der Juden aufzurufen.[4]

Chamberlain gelang es, „die gebildeten Massen seiner Wahlheimat Deutschland zu erreichen – darunter neben der Familie Wagner nicht zuletzt Kaiser Wilhelm II.“[5]

Philipp Graf zu Eulenburg, durch den eine Verbindung zum deutschen Kaiserhaus bestand und der ein einflussreiches Mitglied der Gobineau-Vereinigung war, war ein Anhänger Gobineaus und Wagners und war mit beiden befreundet.[6]

„Only with timely support from the Bayreuth circle, especially Houston S. Chamberlain, Winifred Wagner, and henchmen like Dietrich Eckhart (sic!) in the Thule Society, could the unimpressive Hitler assume the self-then public image of a Wotan/Siegfried figure, complete with telling nickname: ‚Wolf‘.[7] / dt. „Nur mit rechtzeitiger Unterstützung aus dem Bayreuther Kreis, insbesondere von Houston S. Chamberlain, Winifred Wagner und Gefolgsleuten wie Dietrich Eckart in der Thule-Gesellschaft konnte der unscheinbare Hitler in der Öffentlichkeit die Rolle einer Wotan-/Siegfried-Figur spielen, vervollständigt von dem vielsagenden Spitznamen „Wolf“.““

„Thus Hitler himself admitted: `It was Cosima Wagner's merit to have created the link between Bayreuth and National Socialism'. It was the Bayreuth circle which raised Wagner's message to the status of gospel, manoeuvring his ideas into a Germanic-Christian doctrine of salvation. Nietzsche first diagnosed this: `The Germans have constructed a Wagner for themselves whom they can revere'.[8] / dt. So gab Hitler selbst zu: `Es war das Verdienst Cosima Wagners, die Verbindung zwischen Bayreuth und dem Nationalsozialismus geschaffen zu haben.' Es war der Bayreuther Kreis, der Wagners Botschaft in den Status des Evangeliums ergehoben, seine Ideen in eine germanisch-christliche Heilslehre manövriert hat. Nietzsche erste Diagnose lautete: `Die Deutschen haben einen Wagner für sich selbst konstruiert, den sie verehren können.[9]

Dem Autor Jonathan Carr – dem Verfasser von Der Wagner-Clan. Geschichte einer deutschen Familie – zufolge standen jedoch unter den Nationalsozialisten Komponisten wie Bizet und Puccini bei den Deutschen höher im Kurs als Wagner.[10]

Personen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wolfram Selig, in: Handbuch des Antisemitismus. Organisationen, Institutionen, Bewegungen, herausgegeben von Wolfgang Benz, Brigitte Mihok, Band 5, 2012, S.56 f.
  • Matthias Brosch: „Bayreuth Circle“, in: Richard S. Levy (Hrsg.): Antisemitism: A Historical Encyclopedia of Prejudice and Persecution, 2005, Band 1, S. 62 f. (Online-Auszug)
  • Paul Weindling: Health, Race and German Politics between National Unification and Nazism 1870–1945. (Cambridge Studies in the History of Medicine). 2008 Online-Teilansicht
  • Udo Bermbach: Houston Stewart Chamberlain. Wagners Schwiegersohn – Hitlers Vordenker. Metzler, Stuttgart, Weimar 2015, ISBN 978-3-476-02565-4.
  • Hannes Heer/Sven Fritz (Hrsg.): Weltanschauung en marche. Die Bayreuther Festspiele und die „Juden“ 1876 bis 1945. Königshausen & Neumann, Reihe „Wagner in der Diskussion“ Band 10
  • Winfried Schüler: Der Bayreuther Kreis von seiner Entstehung bis zum Ausgang der Wilhelminischen Ära. Wagnerkult und Kulturreform im Geiste völkischer Weltanschauung. Münster, Aschendorff, 1971, 3-402-05365-9
  • Houston Stewart Chamberlain: Lebenswege meines Denkens. München, F. Bruckmann A.-G., 1922
  • Houston Stewart Chamberlain: Richard Wagner. F. Bruckmann 1895.
  • Wolzogen, Hans von: Lieder des Lebens. Berlin, Verlag Ludwig Schroeter, ohne Jahr (1930)
  • Wagner, C. - Pretzsch, Paul (Hrsg.): Cosima Wagner und Houston Stewart Chamberlain im Briefwechsel 1888–1908. 2. Auflage. Leipzig, Philipp Reclam jun., 1934
  • Udo Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Rezeption und Verfälschungen. Metzler, Stuttgart/Weimar 2011, ISBN 978-3-476-01884-7
  • Bülow, Paul: Adolf Hitler und der Bayreuther Kulturkreis – Leipzig. Hamburg: Schloeßmann 1933. (= Aus Deutschlands Werden. H. 9)
  • Joachim Köhler: Wagners Hitler, Blessing, ISBN 978-3-89667-016-8 (vgl. Hitlers Wagner – zeit.de)
  • P. zu Eulenburg-Hersfelde: Eine Erinnerung an Graf Arthur Gobineau. Stuttgart 1906
  • Udo Bernbach: Mythos Wagner, Rowohlt Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-87134-731-3.
  • Pierre-André Taguieff: „Sélectionnisme et socialisme dans une perspective aryaniste : théories, visions et prévisions de Georges Vacher de Lapouge (1854–1936)“, Mil neuf cent, Année 2000, Volume 18, Numéro 1 pp. 7-51 (Digitalisat)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise und Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Alternativbezeichnungen sind: Bayreuther Kulturkreis; Bayreuth Circle; Cercle de Bayreuth usw.
  2. Artikel: „Cosima Wagner“: in: Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE), 2. Ausgabe. Herausgegeben von Rudolf Vierhaus. Band 10: Thies – Zymalkowski, K.G. Saur. München 2008, S. 342 (Online-Teilansicht)
  3. Ravings of a Renegade – James Joll („one of the most virulent exponents of a racialist view of history and of Germany’s mission as a master race“)
  4. Houston Stewart Chamberlain und Richard Wagner NZZ, 23. Januar 2015
  5. Rothkamm, NZZ
  6. Paul Weindling (2008:107)
  7. David B. Dennis: «Crying „Wolf“? A Review Essay on Recent Wagner Literature», German Studies Review, February 2001, 145-158. - Online
  8. Rosefield, Jayne: ‚Hitler and Wagner‘. History Review; 12/1/1998 (Online)
  9. vgl. Hitler's Table Talk 1941–1944: Secret Conversations, herausgegeben von H. R. Trevor-Roper. 2007, S. 264 (Online-Teilansicht)
  10. nach „How the Nazis took flight from Valkyries and Rhinemaidens“ – theguardian.com