Jule Govrin

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Jule Govrin, auch Jule Jakob Govrin (* 18. Juni 1984 in Siegburg), ist eine deutsche Philosophin und politische Autorin. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Feldern der Sozialphilosophie, Politischen Theorie, Feministischen Politischen Philosophie, Ästhetik, Queer Theory und Affekttheorien.[1]

Leben und Wirken

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Nach dem Studium von Philosophie und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Universität Paris 8 Vincennes-Saint-Denis wurde Govrin von 2014 bis 2017 am Institut für Philosophie der Freien Universität in Philosophie promoviert. Seit 2009 arbeitet sie mit dem Institut für Queer Theory zusammen.[2] Zudem ist Govrin seit 2017 regelmäßige Gastautorin bei 10nach8 auf Zeit Online.[3] Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit schreibt sie zu tagesaktuellen Themen wie u. a. zur rechtlichen Gleichstellung von queeren Menschen.[4][5]

2016 verfasste sie den Essay Sex, Gott und Kapital: Houellebecqs Unterwerfung zwischen neoreaktionärer Rhetorik und postsäkularen Politiken, der bei edition assemblage erschien. Der Essay befasst sich mit der Rezeption von Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung und untersucht, wie „Sexualität und Rassismus miteinander verschaltet werden, um nationale Identität herzustellen“.[6] Jule Govrin forscht weiterhin zu reaktionären Politiken.[7]

Im Zuge ihrer Dissertation, die 2020 unter dem Titel Begehren und Ökonomie. Eine sozialphilosophische Studie in der Reihe Undisziplinierte Bücher beim Verlag Walter de Gruyter erschien, befasste sich Govrin mit dem Zusammenhang von Begehren und Ökonomie.[8] Sie bietet einen an Michel Foucault angelehnten, genealogischen Rückblick in die Philosophiegeschichte, wobei sie sich mit den Schriften von Platon, Georg Friedrich Hegel, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud befasst. Dabei zeigt sie auf, dass Ökonomie als „Ordnungsversuch des Begehrens“[9] erscheint.[10] Zum anderen befasst sich Govrin in ihrer Studie mit der Theorie des Begehrens von Gilles Deleuze und Félix Guattari und zeigt auf, wie Sexualität und Begehren nach 1968 in die Konsumkultur integriert wurden. Im Zuge dieser Forschung hat sie sich auch mit dem Gegenwartsphänomen des Onlinedatings befasst.[11] Zugleich zeigt Govrin eine emanzipatorische Seite des Begehrens auf: Sie versteht Begehren als soziale Kraft, die politische Ordnungen unterwandert, so dass es neue „Beziehungsweisen“ ermöglicht, ein Begriff, den Govrin von der Philosophin Bini Adamczak aufnimmt.[12][13] Diese Auseinandersetzung ist vom Denken der Queer Theory geprägt, u. a. von Judith Butler, Teresa de Lauretis und Gayle Rubin.

Ein anderer Forschungsschwerpunkt liegt auf der politischen Dimension von Körpern und Gefühlen.[14] So untersucht Jule Govrin u. a. politische Authentizitätsinszenierungen.[15] Vor allem beschäftigt sie sich mit der Verwundbarkeit von Körpern. Ausgehend von Judith Butlers Ethik der Verwundbarkeit untersucht sie, wie daraus der Anspruch erwächst, allen Körpern gleichermaßen Schutz zu gewähren.[16][17][18] Dazu erschien 2022 ihr Buch Politische Körper. Von Sorge und Solidarität, das die Aufmerksamkeit darauf lenkt, „wie politische Bilder und ökonomische Praktiken Körper formen. Zugleich eröffnet dieser Blick Aussichten auf einen Universalismus von unten, wie er sich in aktuellen feministischen Protestbewegungen abzeichnet. Ausgehend von der Erkenntnis, dass unsere Körper durch einander verwundbar und voneinander abhängig sind, wird die Sorge um sie zum Dreh- und Angelpunkt globaler Solidarität.“ Im Zuge dieser Forschungsausrichtung zeigt Jule Govrin auf, wie Körper ungleich gemacht werden, zum Beispiel durch Austeritätspolitiken.[19]

Im Januar 2021 unterstützte sie im Rahmen der Corona-Pandemie als Erstunterzeichnerin der Kampagne #ZeroCovid eine Zero-Covid-Strategie.[20] Govrin unterstützt die Forderung nach Einführung einer Vier-Tage-Woche.[21]

Schriften (Auswahl)

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  • (2023): Begehrenswert. Erotisches Kapital und Authentizität als Ware. Berlin: Matthes und Seitz. ISBN 978-3-7518-0534-6.
  • (2022): Politische Körper. Von Sorge und Solidarität. Berlin: Matthes und Seitz. ISBN 978-3-7518-0545-2.
  • (2020): Begehren und Ökonomie. Eine sozialphilosophische Studie. Berlin: de Gruyter. ISBN 978-3-11-068697-5
  • (2016): Sex, Gott und Kapital. Houellebecqs Unterwerfung zwischen neoreaktionärer Rhetorik und postsäkularen Politiken. Münster: Assemblage. ISBN 3-96042-008-0
    • französische Übersetzung: (2017): Sexe, Dieu et Capital. Soumission de Houellebecq: entre rhétorique néo-réactionnaire et politiques postséculaires. Paris: Post-Éditions. ISBN 979-10-92616-15-6

Herausgeberschaft

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  • mit Antke Engel und Eva von Redecker (2016): Lust an Komplexität und Irritation. Pleasures of Complexity and Confusion. 10 Jahre Institut für Queer Theory. 10 Years Institute for Queer Theory. Berlin: Gender/Queer e.V.

Akademische Artikel

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Journalistische Beiträge

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Einzelnachweise

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  1. Jule Govrin | Europa-Universität Flensburg - Academia.edu. Abgerufen am 20. August 2021.
  2. Desire’s Multiplicity and Serendipity Lecture Series 2014-15. In: ICI Berlin. Abgerufen am 20. August 2021 (amerikanisches Englisch).
  3. Redaktionsprofil von Jule Govrin. In: Die Zeit. Abgerufen am 20. August 2021.
  4. Jule Govrin: Regenbogenfamilien: Es ist Liebe. In: Die Zeit. 27. April 2021, abgerufen am 20. August 2021.
  5. Jule Govrin, Eliah Arcuri, DER SPIEGEL: Geschlechtliche Selbstbestimmung: „Es ist nicht Willkür. Es ist das System“. Abgerufen am 20. August 2021.
  6. Edition Assemblage. Abgerufen am 24. August 2021.
  7. Andreas Gehrlach, Andreas Gehrlach: Vive la Différence! Wenn Linke und Rechte von #Differenz reden, meinen sie nicht das Gleiche – Geschichte der Gegenwart. Abgerufen am 20. August 2021 (deutsch).
  8. Jule Govrin: Begehren und Ökonomie. De Gruyter, 2020, ISBN 978-3-11-068697-5, doi:10.1515/9783110686975 (degruyter.com [abgerufen am 20. August 2021]).
  9. “Man kann Ökonomie als einen Ordnungsversuch des Begehrens verstehen”: Jule Govrin im Interview. 17. August 2021, abgerufen am 20. August 2021 (amerikanisches Englisch).
  10. Ökonomisiert? - das Begehren. 22. März 2021, abgerufen am 20. August 2021.
  11. transcript: Affekt Macht Netz. Abgerufen am 20. August 2021.
  12. “Man kann Ökonomie als einen Ordnungsversuch des Begehrens verstehen”: Jule Govrin im Interview. 17. August 2021, abgerufen am 20. August 2021 (amerikanisches Englisch).
  13. Jule Govrin. In: ICI Berlin. Abgerufen am 20. August 2021 (amerikanisches Englisch).
  14. praefaktisch: Das Affektive ist politisch. Eine schemenhafte Skizze des Zusammenhangs zwischen Affektivität und Politik. Abgerufen am 20. August 2021 (deutsch).
  15. transcript: Die Emotionalisierung des Politischen. Abgerufen am 20. August 2021.
  16. engagée Journal: Bound to Each Other and Vulnerable to Each Other: Body Politics of Care and Solidarity in Pandemic Times. In: engagée. 17. Juli 2021, abgerufen am 20. August 2021 (britisches Englisch).
  17. Information Philosophie - Die Zeitschrift, die über Philosophie informiert. Abgerufen am 20. August 2021.
  18. Jule Govrin: Corona und soziale Ungleichheit: Die Gleichheit der Körper. In: Die Zeit. 6. November 2020, abgerufen am 20. August 2021.
  19. Jule Govrin: Kapitalismus: Wie falsche Finanzpolitik den rechten Rand stärkt. In: Die Zeit. 24. September 2019, abgerufen am 20. August 2021.
  20. #ZeroCovid. In: #ZeroCovid. Januar 2021, archiviert vom Original; abgerufen am 4. März 2023.
  21. Govrin, Jule; Rohde, Stephanie: Fürsorge für alle: Philosophin Jule Govrin über Verwundbarkeit. In: deutschlandfunkkultur.de. 13. August 2023, abgerufen am 17. Februar 2024.